Kurventraining am Bilster Berg mit dem Motorrad Action Team

Diskutiere Kurventraining am Bilster Berg mit dem Motorrad Action Team im Bilster Berg Forum im Bereich Rennstrecken; Hallo, damit ich beim nächsten Mal mehr normale Leute dort treffe, die Supersportler fahren, schreibe ich Euch hier meine Erfahrungen vom...
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Hallo,

damit ich beim nächsten Mal mehr normale Leute dort treffe, die Supersportler fahren, schreibe ich Euch hier meine Erfahrungen vom Kurventraining am Bilster Berg.

Im Gegensatz zu einem (freien) Renntraining wird in einem Kurventraining ausschließlich hinter einem Instruktor gefahren. In der Gruppe darf nicht überholt werden. Der Instruktor lotst die Gruppe über die Strecke, indem er vereinbarte Handzeichen gibt und die Gruppe bei bestimmten Situation z.B. Blinker setzen muss, um anderen, die schneller sind, zu zeigen, was sie fahrtechnisch vor hat. Gefahren wird mit straßenzugelassenen Maschinen in - aus Sicht von Renntraining-Teilnehmern - sehr moderater Geschwindigkeit.

(Gibt ´ne schöne Abbildung auf den Seiten von "Motorrad", die zeigt wie sich Supersportlerfahrer untereinander sehen. Abgebildet ist da eine Weinbergschnecke, was ich sehr passend für uns fand.)

Nummernschilder, Spiegel, Ständer, Scheinwerfer, Blinker - die Motorräder bleiben so wie sie sind, was auch für die Reifen gilt, denn gefahren wird auch hier mit den normalen für diese Maschine auf der Straße zugelassenen Reifen. Natürlich können Teile abgebaut werden, das muss aber nicht sein, denn in der Regel ist die Gefahr bei einem Instruktor-Kurventraining zu Schaden zu kommen, aus meiner Sicht fast geringer als bei einem ADAC-Sicherheitstraining, sofern man für sich selbst beschließt, im Zweifelsfall auf einen Turn zu verzichten, wenn die eigene Konzentration nachlässt oder aber die Bereitschaft da ist, auf Einschätzung des Instruktors in eine Gruppe zu wechseln, die eher den eigenen Fähigkeiten oder dem Fahrstil entspricht.

Ein Kurventraining ist aus diesem Blickwinkel betrachtet im Vergleich zu einem Renntraining erstmal grundsätzlich kostengünstig und einfach in die Tat umzusetzen, denn man braucht keinen Transporter für´s Bike, keinen Werkzeugkoffer oder Ersatzreifen. - Wer neue Reifen braucht, egal ob es Slicks o. ä. für die Teilnahme sein sollen oder eben anschließend neue Straßenreifen, kann welche vorbestellen und vor Ort montieren lassen. Dennoch galten - zumindest bei dieser Veranstaltung die gleichen Voraussetzungen an die Schutzkleidung wie für Renntrainings.

Die Gruppeneinteilung wurde durch das Motorrad Action Team bereits im Vorfeld anhand der Angaben oder der persönlichen Bekanntheit der Teilnehmer vorgenommen. Ich bin mir nicht sicher, was dabei die ausschlaggebene Rolle gespielt haben könnte. Der gefahrene Maschinentyp kann es eigentlich eher nicht sein. Vielleicht die gefahrenen Kilometer pro Jahr, die Fahrerfahrung, das Alter? - Für unsere Gruppe hat das wirklich nicht geklappt, bei anderen schien es hingegen gut zu passen.

Ich muss gestehen, ich bin das ganze etwas blindäugig angegangen, war vorher auch noch krank und nur bedingt fit. Geplant hatte ich dieses Training als das zweite im Jahr. Das wäre, im Nachhinein betrachtet, effektiver gewesen, denn für den Bilster Berg sollte man besser schon einige wirklich schnelle Kilometer auf dem Motorrad hinter sich haben. Meine Suzi war gerade erst einigermaßen eingefahren und auf so einer großen Strecke mit so vielen anderen zusammen bin ich vorher auch noch nie unterwegs gewesen. Zudem hatte ich es definitiv versäumt, mir wenigstens ein paar Videos von der Strecke anzusehen. Da die Strecke gleich um die Ecke ist, bin ich es locker angegangen, so als fährt man mal los, um sich die Externsteine oder den Hermann anzusehen. Tatsächlich war meine Hauptmotivation: Über die Strecke wurde so viel geschrieben - ich wohn fast da, ich will wissen, wie sie ist!

Der Bilster Berg ist eine wunderschöne, abwechslungsreiche Strecke. Für ein erstes Kurventraining auf einer Rennstrecke kann ich sie aber nur bedingt empfehlen, denn es war für mich sehr schwer, mir überhaupt erstmal die Reihenfolge der Kurven zu merken. Oft sind Kurven nicht einsehbar, die Strecke ist auch nicht auf "höchste Geschwindigkeit" hin optimiert, sondern wirkt eher wie eine überdimensionierte, top in Schuss gehaltene Landstraße durchs Weserbergland, die ihre Tücken, aber doch wenigstens keinen Gegenverkehr hat. Es macht sogar Spaß, sich beim Fahren die Landschaft anzuschauen.

An einer Stelle habe ich beispielsweise gedacht, es geht einfach ganz gemütlich nach links. Das war auch der Fall, jedoch mit einem vorher nicht erahnbaren Gefälle von immerhin 26% und auf den ersten Blick "mysteriös" gestaltetem Fahrbahnprofil. Wenn man sie zum ersten Mal selbst gesehen und gefahren ist und die Stelle kennt, ist sie sehr reizvoll, aber beim aller ersten Reinfahren, hab ich vor Schreck über so eine "Zumutung" glatt vergessen zu atmen. Da brachte dann auch die nachfolgende blinde Kuppe keine echte Erleichterung. "Scheiße! Für sowas zahle ich auch noch Geld??" - Schon in der zweiten Runde, hat es dann tatsächlich Spaß gemacht und ich fand genau diese Stelle richtig klasse zum Fahren, aber bei 96 km/h war es auch genug für mich.

Als zweites, wirklich extrem gravierendes Problem entpuppte sich, dass ich zu den Alleinfahrern gehöre. Ich mag es schon nicht, mit anderen zusammen in der Gruppe Fahrrad zu fahren. Mit anderen Worten, ich fahre so langsam oder so schnell wie es mir gerade in den Sinn kommt. Ich halte Sicherheitsabstände, die echte Sicherheitsabstände sind und ich überhole oder lege eine Fahrpause ein, wenn ich einem aus meiner Sicht schlechtem Fahrer endgültig entkommen will. Erscheint mir etwas gefährlich, bin ich vorsichtig und ggf. wirklich langsam. Finde ich jemanden, der gut und schnell in Sichtweite vor mir herfährt, dann rase ich liebend gern für eine Weile hinterher. In der Straßenpraxis hat es sich bislang bewährt und ein paarmal durfte ich mein Leben behalten, wo es sonst bitterlich geknallt hätte, weil die Situation genauso eintraf wie ich sie mir gerade schlimmst möglich ausgemalt hatte: Gülle-Trecker schneidet uneinsehbare Kurve, Sattelschlepper braucht in Serpentine komplette Fahrbahnbreite, älterer Herr nimmt die Vorfahrt, der sieht mich nicht - der fährt jetzt raus. Für mich ist es hochgradig schwierig, dieses Sicherheitsdenken für eine Rennstreckenfahrt von jetzt auf gleich ad acta zu legen. Dafür fahre ich wohl auch zu oft "touristisch". Das finde ich an der Gixxe so erstaunlich. Man kann sie sogar fahren wie einen alten ausgelutschten Opel Commodore und sie nimmt es klaglos hin, sofern man nicht versucht, sie dafür extra zurück in den ersten Gang zu würgen.

Aber der Reihe nach:
Die Anfahrt zum Bilster Berg, nachdem man das Pförtnerhäuschen passiert und den Eintritts-Schein vorgezeigt hat, ist schon eine schöne Sache. Ist man das erste Mal dort, kann ich nur empfehlen, wirklich auf den freundlichen Pförtner zu hören, wo man genau herfahren soll, sonst verfranst man sich womöglich. Die ganze Anlage macht einen äußerst gepflegten Eindruck.

Nach etlichen Kurven traf ich auf die wilde Meute, die sich zum Training (kombiniertes Kurven- und Rennstreckentraining) eingefunden hatte. Soviel Dekadenz habe ich selten gesehen. Neuste Transporter der Luxusklasse, neuste Hänger, neuste Maschinen, alles fein herausgeputzt. Habe mich alles in allem nur gefragt, warum der ein oder andere nicht dann doch mal auch noch seine Lederkombi ab und an wienert. Aber die Herren, alles gestandene Männer in der zweiten Lebenshälfte mit Frau und Kind zu Haus im trauten Heim, müssen wohl auch irgendwie zeigen, dass sie doch noch echte Kerle sind und nicht nur Spitzenverdiener in gehobenen Führungspositionen. Der Begriff Zahnwalt-Rennen hat seine Berechtigung. Natürlich gibt es auch ein paar einfach nur Renn-Begeisterte, aber die - so kam es mir vor - waren in der Minderheit oder verhielten sich einfach unauffällig. Ich meine gelesen zu haben, dass die Tagesmiete für die Strecke 15000 Euro beträgt.

Alles in allem herrschte ein komplettes Durcheinander. Es war nicht zu erkennen, was man als Teilnehmerin als nächstes zu tun hatte. Da irgendwo bei einem Stand eine lange Schlange war, parkte ich mal mitten auf der Straße hinter ein paar anderen Motorrädern mit Nummernschildern und stellte mich erwartungsvoll an. Das war richtig.

Verzichtserklärung unterschreiben. Guppeneinteilung bekommen, Namenaufkleber für die Kombi erhalten, Perso und 10 Euro abgeben - im Tausch gegen einen Transponder mit Halterung mit Kabelbindern. T-Shirt gab‘s auch noch. Hatte ich gar nicht gewusst. Außerdem war mein Transponder noch nicht vor Ort.

Der Transponder ist eine Besonderheit vom Bilster Berg. Ein kleiner roter Kasten, der das Motorrad identifiziert. So können Rundenzeiten ermittelt werden und ebenfalls die Geräuschkulisse für jedes Motorrad (am Messpunkt). Da ich eine Navi-Halterung habe, passte der Transponder quer genau dort hinein und ich konnte ihn festzurren. Wenn man ihn verliert oder er zu Schaden kommt, ist man 500 Euro ärmer, was aber >80% der Teilnehmer wohl eher nichts ausgemacht hätte.

Danach kam der technische Check. Leider war gar nicht zu erkennen, wer prüfte und wer Fahrer war. Ich schob mein Motorrad einfach in die Nähe bis irgendwer es sich ansah und mir den Nummernaufkleber gab. Da ich auch nicht wusste, ob jetzt was abgeklebt werden sollte oder nicht, klebte ich demonstrativ mit Malerkrepp, was mir Hohn und Spott von den "Rennfahrern" einbrachte, aber durch den Instruktor dann später schnell und rückstandsfrei wieder entfernt werden konnte.

Teil II folgt...
 
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Wohin nun mit dem Motorrad? - Eine Ordnung war in keinster Weise zu erkennen, eben so wenig die Rennstrecke. Alles ging drunter und drüber. Niemand war zuständig. Chaos pur. "Du kannst Dir irgendwo einen Platz suchen." - Ja so sah es definitiv auch aus. Also suchte ich meinen Platz zwischen den Transportern vom Motorrad Action Team, die nebenan standen. Die letzte freie Stelle war definitiv der perfekte Parkplatz. Ich ließ mal den Zündschlüssel stecken. Wenn Suzi im Weg war, sollte sie wegschieben oder aus dem Weg fahren wer wollte. Ich versuchte herauszufinden, in wessen Gruppe ich war. Auf der Liste standen Nummer, Name und Maschine. Es sollte ja eine Fahrerbesprechung geben. Irgendwer fragte wo, aber das wusste noch keiner. Hier halt irgendwo zwischen Zufahrtsstraße und Halle. Die Gruppen sollten sich jedenfalls zwischen Halle und Rennstrecke treffen. Ich suchte erstmal eine Ecke für meine Gekramsel. Meinen Transponder holte ich mir irgendwann in letzter Sekunde vor Start auch noch. Die Lokusse waren ein Traum. Wir wenige Frauen haben uns immer sehr wortreich begrüßt, wenn wir uns dort ausnahmsweise mal trafen!

Irgendwann versammelte sich ein dunkel gekleideter Haufen (von Schmuddel-Dress bis Feinripp-Unterhose mit Funktionsshirt alles dabei) und ein Mann mit kräftiger Stimme begann seine Ansprache.

Mittlerweile hatte ich herausgefunden, dass es noch mindestens zwei andere Frauen gab und eine weitere, die in meiner Gruppe sein würde. You are not alone!

Bei der Ansprache blieb mir echt die Spucke weg. Kulturschock. Ich habe auch mehrheitlich mit Männern zu tun, beruflich. Aber die sind keine herumtollenden Dreijährigen?! Sie wurden zusammengestaucht, sich nicht gleich lang zu machen und jetzt sofort auch noch die letzten Straßenreifen gegen Renn-Slicks zu tauschen. Wer mit Straßenreifen führe, bräuchte sich nicht zu wundern, wenn er gleich den Abflug machen würde, das würde nur wieder unnötige Rettungseinsätze provozieren. Damit das aber auch ja klar sei! Sie hätten sich ordentlich zu benehmen und den Flaggensignalen sofortige Folge zu leisten. Ohne Wiederworte oder sonstwas. So und nun Guppeneinteilung!!! Aber flott!!! - So in etwa kam das rüber. - Ich konnte gar nicht auf die Worte achten und war vollständig fasziniert davon, dass alle das so vollständig klaglos, teils sogar mit entrücktem Lächeln über sich ergehen ließen. - Ja, auch Führungskräfte, Unternehmer und Groß-Manager brauchen wohl mal jemanden, der ihnen sagt, wo´s lang geht. - Das konnte ja noch lustig werden.

Inzwischen hinkte der Zeitplan. Wir mussten in so ca. 10 Minuten auf die Strecke und ich wusste bisher nichtmal wie ich dahin kommen sollte, geschweige denn, wie ich meinen Instruktor oder meine Gruppe finden sollte.

Jemand rief, dass sie gleich die Einfahrt auf die Strecke freimachen und alle Motoräder entweder durch die Halle oder durch das Tor fahren sollten. - Scheiße! Ich stand genau zwischen den Transportern, die das Tor noch versperrten, war aber nun leider am völlig anderen Ende der Meute. Arme Suzi. Was blieb? Nur blindes Vertrauen, dass die herumtollenden Dreijährigen am Ende doch noch gute Motorradfahrer sind und meine Suzi wenigstens nicht überfahren. Ich eilte, so schnell es möglich war, zu ihr. Helm auf, die Masse war bereits durch das Tor durch. Wir beide folgten.

"Hier stellen wir jetzt die Gruppen zusammen! Vorne steht der Instruktor mit der Ziffer Eurer Zehnerstelle!"

Uff. Erstmal raus aus dem Knäul. Ganz ans Ende. Kehrtwende gefahren. Wohin jetzt? Der passende Instruktor kam angelaufen und zeigte auf sein Motorrad. Ich schob. Was für eine Wuselei! Der Instruktor fand hektisch die Mehrheit seiner Schafe, aber nicht alle und ich wiederum war völlig irritiert, wer mein Instruktor war, denn ich war mir sicher hier wirklich niemanden vom Namen her kennen zu können:

"Normalerweise würde ich jetzt eine kurze Besprechung mit Euch machen, aber wir fahren jetzt einfach erstmal los und ich zeige Euch die Strecke. Fahrt einfach hinterher, haltet die Reihenfolge ein, Überholen gibt‘s nicht. Ihr wechselt jede Runde erster nach hinten, zweiter auf eins auf mein Handzeichen. Bleibt dicht dran, kein Wenden, keinesfalls unter 50 gehen, hoher Gang, ganze entspannt, wenn ich Blinker setze, setzt auch Blinker und dann lassen wir die nachfolgende Truppe überholen!! Und wumms, ging‘s los. - Au Backe! 30 bis 40 Motorräder starteten in 6er Gruppen plus Instruktor auf Ampel- und Handzeichen nacheinander. Wir waren nichtmal vollständig.

Tatsächlich recht entspannt, aber weiterhin hochgradig fasziniert ging es für uns in die erste Kurve. Kurz beäugt - die sollte wirklich kein Problem darstellen - aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass vor mir die Bremslichter angingen. Für solche Eskapaden war der dritte oder vierte Gang natürlich viel zu hoch... Hoher Gang... so ein Schwachsinn, schoss es mir durch den Kopf als ich durch die Kurven rollte und so natürlich überhaupt nicht mehr nach vorne kam. Aber das wusste ich ja schon: Ich gebe am Kurvenausgang zu wenig Gas. Das habe ich jetzt schon von drei Instruktoren zu hören bekommen und irgendwie beschleicht mich die Vermutung, dass es so ist wie es ist, weil ich mit der Ninja gewohnt bin, in jede enge Kurve mit einiger Todesverachtung hinein zu donnern, um die Kurve auch zeitnah wieder verlassen zu können mit dem Drehzahlmesser kurz vor Rot, aber dennoch eher wie eine Weinbergschnecke...

Wenn ich mit so viel Drehzahl mit der Suzi fahre, war ich letzten Endes wirklich sehr schnell und besonders für mein eigenes Empfinden zu schnell. Ich kann Suzi dann nur noch einfach laufen lassen und das Denken einstellen. Also erhole ich mich stets auf der nachfolgenden Geraden. Bei der Baby-Ninja ist es die gnadenlose Leistung von 34 PS, die mich mit den Geraden hadern lässt. Bei Suzi ist es eher die Erkenntnis, dass ich immer noch deutlich schneller sein kann, als es der Straßenbelag vernünftigerweise überhaupt zulässt. Von Schildern wollen wir gar nicht erst anfangen. Also hatte ich mich mit Suzi zunächst mal auf untertouriges Fahren eingerichtet, um mich langsam hoch zu arbeiten. Wie gesagt, sie gibt einen prima Opel Commodore C mit Overdrive, wenn man sie nett bittet und dabei nicht allzu ungeduldig ist.

Nach dem ersten Turn war ich noch nicht überzeugt, den Tag überleben zu können.

Die rennfahrende Meute, die den Kurs direkt von uns übernahm, schaffte die erste Runde nicht ganz. Zwei Maschinen im Kiesbett. Bei einem war nur das Bike deutlich kürzer geworden, der andere lag offenbar im Notarztwagen. Rote Flagge. Turn-Unterbrechung. So ging es Knall auf Fall weiter. Bei den Rennfahrern müssen viele Turns ausgefallen oder unterbrochen worden sein.

Im Verlaufe der gesamten Veranstaltung kamen immer mehr Leute zu Fall. Zwei knallten wohl gleich beim Auffahren auf die Strecke so derbe gegeneinander, dass der eine sich noch aufrichten, der andere aber "nur noch Kopfbewegungen machen könnend" per Rettungshubschrauber abgeholt werden musste, was in diesem hügeligen Gelände auch eine Herausforderung für den Piloten ist und uns einen Turn kostete. Mir machte das nichts aus, weil der Kulturschock so dermaßen groß war, dass ich das Drumherum interessanter fand als das ganze Fahren, auf das ich mich in Folge ohnehin nicht mehr konzentrieren konnte. Einerseits war ich langsam, auf der anderen Seite konnte ich nicht so schnell fahren wie ich wollte. Und dann noch einer imaginären Linie folgen? Im meinem Kopf herrschte Durcheinander.

Einer meiner Mitstreiter entpuppte sich unvermittelt ebenfalls als tollender Dreijähriger: "Ich finde es eine Frechheit, hier einfach einen Unfall zu bauen, so dass wir den Turn nicht fahren können!!" - Der Instruktor muss solche Sprüche wohl schon öfter gehört haben, er guckte einfach woanders hin. Uns Rest fehlten die Worte. Ich hatte es mir mit dem Typen ohnehin schon verscherzt, da ich mich über sein Bremsen geäußert hatte, wobei ich noch gar nicht gewusst hatte, dass er es überhaupt gewesen war. Jemand bemühte sich um einen Konsens, das ging aber auch nach hinten los. Ich war die einzige ohne ABS, aber das braucht man für ein Kurventraining wirklich nicht, wenn man die ganze Situation nur im Kopf richtig klar kriegt. Das gelang mir allerdings aufgrund der fortwährenden Eindrücke immer weniger und ich fuhr daher immer Kamikaze-ähnlicher, bis dann zum Schluss - da hatten wir aber schon einen absolut fähigen und ad hoc rekrutierten Hilfsinstruktor bekommen, der zur Sicherheit nun auch noch hinter uns fuhr - gar nichts mehr ging.

Teil III folgt...
 
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Der Bilster Berg ist sehr anstrengend für solche Leute wie mich, die so etwas überhaupt noch nicht kennen. Ein Teil ging sicher darauf zurück, dass ich die zwei Tage massive Kopfschmerzen gehabt hatte und ich so an diesem Tag kopfmäßig immer noch echt schlecht drauf war. Dann der Kulturschock, mit dem ich so absolut nicht gerechnet hatte, weil es so etwas in dieser Region eigentlich überhaupt nicht gibt. Von Hannover bis Bad Driburg muss man die Leute, die aufschneiden, angeben und alles besser wissen, wirklich suchen. Für mich eine echte Parallelgesellschaft, an der ich auch nicht teilhaben möchte.

Auf den Weserberglandstraßen wird absolut entspannt und in jeder Hinsicht rücksichtsvoll gefahren. Die hiesigen Landstraßen-Rennstrecken sind allen Teilnehmenden bekannt und nur autofahrende Touristen verirren sich gelegentlich dorthin. Die Einheimischen setzen sich sonntags gelegentlich sogar in den Garten, nur um Motorräder zu gucken! Kurvenschneiden gibt‘s wochentags gar nicht. Auch gibt es keinen Grund, irgendein gemaltes innerörtliches 30er Schild nicht zu beachten. Es ist wirklich eine friedliche Gegend - verglichen mit dem Harz oder dem Sauerland - und am Rande, z.B. dem Landkreis Northeim, darf man sogar frisch geteerte 40er Straßen ganz offiziell mit 100 befahren, wenn man es denn unbedingt riskieren möchte.

Was mich aber am Bilster Berg im Nachhinein wirklich gestört hat, ist der unglaubliche Lärm, der sich dort aufgrund der naturräumlichen Lage auf und an der Strecke bildet. Die ganze Zeit über war es praktisch nie ruhig.

Auch zwischen den Turns gab es noch Programm. Haltung, Einzelfahrfehler wurden besprochen, die Strecke wurde nochmal unter die Lupe genommen, eine Videoanalyse gab es ebenfalls und es ist hilfreich sich mal selbst zu sehen, wie man fährt. Außerdem hat man dann ja auch endlich die schönste Maschine von allen direkt vor Augen. Sonst sieht man ja nur die unansehnlichen Krücken, die die anderen fahren :-)

Leider ging vieles von diesen Sachen regelrecht im unendlichen Lärm unter. Und der Lärm kostete letzten Endes sehr viel von meiner Konzentrationsfähigkeit, wobei ich selbst auf der Strecke derzeit nicht mit Ohrstopfen fahren würde, weil ich dann mein eigenes Motorrad schlechter einschätzen kann. Es besser einzuschätzen habe ich dennoch gut gelernt. Wer hätte gedacht, dass man die Reifen wirklich bis zur Kante nutzen kann oder sich Reifen gar auf vollständig mysteriöse Weise in plockige Radiergummis verwandeln, ohne das sonst irgendetwas Schlimmes passiert?!

Als Kurventraining-Teilnehmer muss man im Kopf klar bekommen, dass es diesen wahnwitzigen Unterschied zwischen gut geordnetem Kurventraining und Chaos-Rennstreckentrainig gibt. Die Unfälle sind, soweit ich es mitbekommen habe, allesamt bei den Rennstreckenleuten passiert und es waren wirklich massig Unfälle. Grundsätzlich scheint es Konvention zu sein, Unfälle gegenüber anderen Teilnehmern zu banalisieren oder unter den Tisch zu kehren. Ich halte das für unnötig, andere mögen es brauchen, um den Mut nicht zu verlieren.

Auf der Strecke, die ja über 5 km lang ist, fiel auch stark ins Gewicht, dass sowohl schnelle Gruppen langsamere überrunden mussten, als auch in den Gruppen die Reihenfolge der Fahrer pro Runde gewechselt wurde. Aufgrund der Streckenbeschaffenheit, die eben keine Hochgeschwindigkeitsstrecke, sondern in erster Linie eine Strecke zum Ausbau fahrerischer Fähigkeiten ist, geschieht beides jedoch zu oft an der gleichen Stelle. Ich möchte an dieser Stelle sonst keinen Kommentar dazu schreiben, aber selbst sehr erfahrene Fahrer schätzen offenbar die dadurch entstehenden Gefahren als sehr hoch ein. Das wäre noch eine Idee: pro Turn immer der gleiche Fahrer vorne. Das wäre viel ungefährlicher und man könnte die Gruppenteilnehmer fragen, wer als erster vorne und wer als letzter vorne fahren will. Ich wäre da immer zu Kompromissen bereit, wenn es die Gesamtsituation entspannt. Leute, die sich immer benachteiligt fühlen, können ja ihren eigenen Instruktor buchen. Wenn man das gleich bei Vertragsabschluss kund tut, kann es auch keine nachträglichen Beschwerden geben.

Im miesesten Turn habe ich an einer Stelle irgendwann einfach den Anschluss verpasst, habe nur noch versucht, irgendwie wieder aufzuschließen, habe dabei aber leider komplett vergessen wie man überhaupt Motorrad fährt oder wo ich tunlichst herfahren sollte. Gruselig.

Witzig hingegen war, dass mir unser hinterher fahrender Aushilfsinstruktor am Ende dieses Turns voller Eifer genau meine Empfindungen praktisch im Wortlaut (!) wiedergeben konnte. Wirklich bis ins letzte Detail. So war mir dann möglich, zu rekonstruieren, wie ein einzelner Fahrfehler eine ganze Kette von "im Geiste schrecklicher Situationen" provozieren kann. Der Trick ist es, zu lernen, wie man die Kette unterbricht und wieder sein eigenes Tempo und damit auch Anschluss findet, denn die gefahrene Geschwindigkeit ist durchaus moderat und nicht "zu hoch". Ich glaube, das war die Stelle im Training, wo ich am meisten draus gelernt habe. Wenn alles gut läuft, fühlt man sich natürlich besser und man gewinnt an Sicherheit, aber wenn man so richtig mies gefahren ist, so dass es an der Zeit ist, sich wirklich tüchtig zu schämen, ist die Wirkung deutlich nachhaltiger.

Die Instruktoren des Motorrad Action Team sind echte Profis, ganz gleich auf welcher Maschine sie vor einem herfahren. Sie haben offenkundig sehr viel Wissen und Erfahrung und sind gerne bereit das alles weiter zu geben an Leute, die es hören wollen. Problematisch sehe ich, dass viele Teilnehmer einfach nur zum "schnellen Fahren" kommen, ohne etwas lernen zu wollen. Die halten sich schon für perfekte Fahrer/innen, bevor es auch nur losgegangen ist. Insbesondere Mittelalte sind oft zu sturköppig, um nochmal in den "Lernmodus" zurück zu fallen. Dummerweise ist das aber genau die Gruppe, die das Geld für so ein Training übrig hat. Da kann man also mit seiner Gruppe Pech oder Glück haben. Unser Instruktor hat das Maximum getan, beiden extremen Grundtypen so gerecht wie möglich zu werden. Ich glaube nicht, dass es jemand besser hätte hinbekommen können, denn dafür waren die Teilnehmer/innen wirklich zu unterschiedlich im Hinblick auf Temperament, Anspruch und tatsächlichem Fahrvermögen. Die sehr unterschiedlichen Motorräder mit anderer Drehzahl- aber vor allem anderer Drehmomentkurve taten das übrige.

Alles in allem war es für mich echt der Wurf ins kalte Wasser, der so einiges an Nerven gekostet hat und mich von jetzt auf gleich in eine echte Parallelgesellschaft entführt hat. Dabei steht Parallelgesellschaft mal ausnahmsweise nicht für Drogenmafia oder Sozialghetto, sondern für das was es auch gibt: Die Welt derer, die schon alles erreicht haben und als letzten Kick - oft genug aus einer für mich unerklärlichen Langeweile am Leben heraus - noch ein wenig Abenteuer brauchen und natürlich im Zweifelsfall eine treusorgende Ehefrau für das zeitnahe Bringen der gebügelten Unterhose ins Krankenhaus. - Ich kann verstehen, wenn jemand einfach darauf aus ist schneller (und damit einhergehend "besser") zu fahren, aber mir fällt es verdammt schwer zu kapieren, wenn an sich vernunftbegabte Männer in meinem Alter plötzlich zu ... Dreijährigen mutieren.

Nachdem ich zwei Tage später noch dabei war, mich davon zu überzeugen, dass ich sowas nicht noch einmal brauche, überlegte ich am dritten bereits, mich schnell für das nächste Training in wenigen Tagen anzumelden, wo es noch ein paar Plätze gab. Allerdings ist der Preis mit 329/349 Euro doch recht gepfeffert und in den wenigen Tagen wäre ich geistestechnisch immer noch nicht wesentlich besser vorbereitet, auf das, was mich da kulturtechnisch erwartet. Und Suzi und ich müssten ja auch erstmal das nächste Kurventraining, was eigentlich das erste hätte werden sollen, überlebt haben. Wir wollen ja kein Geld ausgeben für Sachen, die wir dann womöglich doch nicht wahrnehmen können...

Aufgeschoben ist definitiv nicht aufgehoben. - Der Bilster Berg ist eine sehr coole Strecke zum Besser-Fahren-Lernen. Da sind die Rundenzeiten einer Schnecke erstmal vollständig egal. - Nur die Frauenquote ist verbesserungswürdig. Könnte man ja mal der zuständigen Ministerin vorschlagen. Wäre sicher was zu machen, mit einem staatlichen Zuschuss zur Teilnahmegebühr!

Viele Grüße
H-AJ
 
Hörnchenjäger

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Großgixxer
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Danke für den tollen Bericht. Ich habe ihn gerne gelesen.

Im moment sieht es echt danach aus, als würde es mit dem Forum wieder bergauf gehen =)
 
Richi85

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Gixxer
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Das nenne ich einmal einen anständigen Bericht - vielen Dank! :)
Hat Spaß gemacht zu lesen!
 
Thema:

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